Ratgeber Kleinkinder
Psychische Gesundheit im Kleinkindalter – ein Ratgeber für Familien und Betreuungspersonen
Kinder brauchen Zuwendung und Anerkennung, um sich gesund zu entwickeln. Und manchmal auch fachkundige Unterstützung, wenn Probleme und Beeinträchtigungen auftreten. Für Eltern und Angehörige ist es oft schwer einzuschätzen, was altersgemäß ist und was nicht, wo die Grenze zwischen individuellen Eigenheiten und behandlungsbedürftigen Problemen liegt. Und ab wann Hilfe von Fachleuten angenommen werden sollte. Diese Broschüre soll eine erste Orientierung bieten – und deutlich machen, dass die Suche nach Hilfe kein Eingeständnis von Schwäche ist.
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Mehr als 50 Prozent aller psychischen Erkrankungen entstehen bereits im Kindes- und Jugendalter.
Kinderpsychen – sensibel und doch stark
Auch widrigen Bedingungen sind Kinder oft erstaunlich gut gewachsen, sofern es etwa eine Bezugsperson gibt, die sie unterstützt. Aber es gibt Risikofaktoren, die psychische Erkrankungen begünstigen. Großer Stress in der Schwangerschaft kann etwa die Fähigkeit der Kinder mindern, mit emotionalen Belastungen umzugehen. Bei einigen Erkrankungen spielen genetische Anlagen eine Rolle. Bei fast allen die Erfahrungen der Kinder in den ersten, prägenden Lebensjahren.
Mädchen und Jungen aus Familien mit wenig Geld und Bildungentwickeln mehr als doppelt so oft psychische Problemewie Kinder aus privilegierteren Haushalten. Leiden Eltern anpsychischen Erkrankungen, ist das Risiko für ihre Kinder ebenfalls erhöht. Das gilt auch, wenn Eltern oder die Kinder selbst chronische körperliche Erkrankungen haben. Schwer wiegen traumatische Erlebnisse: Psychische oder körperliche Misshandlung, konfliktreiche Scheidungen oder der Verlust eines Elternteils belasten Kinder akut und hinterlassen Spuren im Gehirn. Wer oft Schlimmes aushalten musste, ist mitunter lebenslangpsychisch weniger belastbar.
Angsterkrankungen, Depressionen, Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und solche des Sozialverhaltens treten bei Kindern am häufigsten auf. Manchmal zeigen sich andere Symptome als bei Erwachsenen. Bis ca. zur Pubertät sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Hinter vermeintlich schwierigem kindlichen Verhalten steckt meist keine böse Absicht, sondern große psychische Not. Mit modernen Behandlungsverfahren, die auch die Familie einbeziehen, lässt sich oft verhindern, dass die Not chronisch wird.
Alarmsignale im Baby- und Kleinkindalter
Typisch (Klein-)Kind oder Grund zur Sorge? Folgende Probleme können Hinweise geben, wenn sie besonders ausgeprägt, häufig und lange auftreten.
Körper und Kontrolle
- Stundenlanges Schreien mehrmals pro Woche, vor allem spätnachmittags und abends: erfolglose Beruhigungsversuche (nach dem 4. Lebensmonat)
- Ausgeprägte Schlafstörungen: kein Schlafrhythmus (nachdem 6. Lebensmonat), Probleme beim Einschlafen, häufiges nächtliches Aufschrecken, Alpträume, Schlafwandeln
- Dauernde Nahrungsverweigerung, Hochwürgen von Essen, ängstliche/abwehrende Reaktionen beim Füttern, Fixierung auf Nahrungsmittel, extreme Heißhungerattacken
- Weigerung, auf die Toilette zu gehen, Einnässen oder Einkoten (nach dem 5. Lebensjahr)
- Andauernde körperliche Symptome ohne Erklärung: Kopfweh, Bauchschmerzen, Übelkeit, dauernde Müdigkeit
Stimmung und Wahrnehmung
- Auffallende Ruhe: wenig Lebendigkeit, wirkt oft passiv oder traurig, gedrückte Stimmung, mangelnde Energie
- Starke Reizbarkeit: sehr impulsiv, ungeduldig, übermäßige Wut, wechselnde Stimmungen, erträgt Frustration schwer
- Permanenter Bewegungsdrang: dauerndes Zappeln, lautstarkes Spielen, draufgängerisches Verhalten
- Wenig Selbstvertrauen: große Schuldgefühle und das Gefühl, schlechter als andere oder wertlos zu sein
- Konzentrationsprobleme: leicht abzulenken, nicht fähig, sich länger auf Tätigkeiten zu konzentrieren
Ängste und Sorgen
- Extrem ausgeprägte Trennungsangst: Schlagen, Schreien oder Anklammern, wenn Bezugspersonen sich entfernen
- Große Ängste vor Tieren, Gegenständen, Situationen (Dunkelheit, Diebe im Kinderzimmer) oder Fantasiefiguren
- Übermäßige soziale Ängste: dauernde Sorge, sich vor den anderen zu blamieren, extreme Schüchternheit, eine sehr ausgeprägte Furcht davor, vor Publikum zu stehen
- Permanente Sorgen und Grübeln: Angst vor Unheil, Gedankenschleifen und ausgeprägtes Bedürfnis, sich bei Bezugspersonen rückzuversichern
Beziehungen und Verhalten
- Extrem angepasstes Verhalten: nimmt sich stark zurück, übermäßige Rücksicht auf andere, keine eigenen Wünsche
- Wenig Kontakt: zeigt wenig Emotionen, kaum Interesse an Bezugspersonen und Gleichaltrigen, bleibt am liebsten allein
- Vorliebe für Rituale und Wiederholungen: dauerndes Wiederholen von Bewegungen und Aktionen, ausgeprägte Abneigung gegenüber Veränderungen
- Häufig Schwierigkeiten, sich in Gruppen einzuordnen: kann nicht abwarten, bis es an der Reihe ist, spricht dazwischen, wenig Verständnis für die Bedürfnisse anderer
- Kaum Bereitschaft, soziale Regeln zu akzeptieren: häufige Diebstähle und Lügen, permanente Versuche, anderen zum Beispiel beim Spielen den eigenen Willen aufzuzwingen
- Gewalttätiges Verhalten: körperliche Angriffe auf Menschen oder Tiere, absichtliches Zerstören von Gegenständen
Tipps für Eltern und Bezugspersonen
Darauf kommt es an, wenn Kinder in psychischer Not sind:
Versuchen Sie, einfühlsam auf das Kind zu reagieren, und üben Sie keinen übermäßigen Druck aus. Kinder, gerade im sehr jungen Lebensalter, wollen weder ihre Eltern noch andere Erwachsene bewusst ärgern und brauchen deren Hilfe, um ihre Gefühle zu regulieren. Achten Sie auf einen strukturierten Tagesablauf und unterstützen Sie vor allem Babys und Kleinkinder durch Rituale wie etwa Schlaflieder oder Kuschel-Zeiten dabei, einen eigenen Rhythmus zu finden.
Fördern Sie, aber überfordern Sie nicht. Machen Sie deutlich, dass Sie an die Fähigkeiten des Kindes glauben und bedingungslos an seiner Seite stehen. So entsteht Grundvertrauen, das gerade sensiblere Kinder für eine gesunde Entwicklung brauchen. Gestehen Sie sich ein, wenn Sie zum Beispiel mit einem dauernd schreienden Baby überfordert sind, und bitten Sie um Hilfe. Nehmen Sie sich bewusst kleine Auszeiten, damit Sie auf Dauer die Nerven behalten.
Belohnen Sie kooperatives Verhalten von kleinen Kindern mit Lob und bemühen Sie sich darum, freundlich, aber bestimmt Grenzen zu setzen. Kinder brauchen sie, um sich orientieren zu können. Werden Sie hellhörig, wenn ein Kind plötzlich für einen längeren Zeitraum sein Verhalten verändert. Was könnten Auslöser sein? Haben Sie bestimmte Veränderungen schon früher einmal bemerkt? Führen Sie am besten ein Tagebuch, um einen Überblick zu bekommen.
Tauschen Sie sich auch mit anderen aus: Wie schätzen gute Freund*innen, Verwandte, Erzieher*innen die Situation ein? Bemerken sie Auffälligkeiten, die Ihnen vielleicht noch nicht aufgefallen sind – oder bewerten sie ein Verhalten als unproblematisch, das Sie selbst stark stört? Spätestens, wenn das Kind sichtbar leidet, es in der Familie, im Freundeskreis oder im Kindergarten zu gravierenden Problemen kommt, sollte man sich an Fachleute wenden.
Unterstützung durch den LVR!
Die Kliniken des Landschaftsverbands Rheinland bieten an zahlreichen Standorten Hilfen für psychisch erkrankte Kinder und ihre Eltern an: in Ambulanzen und Beratungsstellen, Tageskliniken und speziell auf Kinder ausgerichteten Klinik-Abteilungen.
Kinder- und Jugendpsychiatrie - LVR-Klinikverbund